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Raoul Balai

Der Kaufmann
gewinnt leider immer

Es ist ein Text, der nicht ignoriert werden kann. Insgesamt 53 Buchstaben entlang des Kanals zwischen dem Stadtamt und dem Gebäude der Waterschap. Jeder Buchstabe ist 3 Meter hoch. Zusammen sind sie rund Hundertzwanzig Meter breit. Hollywood ähnliche Proportionen, sagt Raul Balai. In dem Sinne, dass sein Text genauso offensichtlich Aufmerksamkeit einfordert wie das ‘Hollywood Sign’ bei Los Angeles. Der Buchstaben-Typ ist genau der gleiche, wie von dem ikonischen ‘sign’, das in Amerika auf die Filmindustrie hinweist.

Nach langem Überlegen hat er sein Kunstwerk ‘Mollywood’ genannt. Mit einem dicken Augenzwinkern nach ‘Hollywood‘, ‘Nollywood’, ‘Bollywood’ und was für Möglichkeiten es noch so gibt. Er hatte erst noch an ‘Zollywood’ gedacht mit dem Z von Zeeland. Aber er entschied sich doch für ‘Mollywood’ mit dem M von Middelburg: “Molly ist in Amerika das Codewort für XTC. Darum habe ich mich für ‘Mollywood’ entschieden. Sowie Religion Opium für das Volk ist, so ist die populäre Filmkultur und alles was damit zu tun hat, das sicher auch”.

Wir sprechen immer über die Buchstaben an sich. Aber die Buchstaben formen Wörter und die Wörter formen einen Satz: ‘HOW OUR EXPLOITATIVE STATE OF MIND FRAMES THE SHAPE OF THE WORLD’. Damit sind wir direkt an dem Kern der Kunst von Raul Balai angelangt.

Wieder in mehrfacher Hinsicht. Man kann sein Werk für Façade nicht direkt Graffiti nennen, aber die Art um Aufmerksamkeit zu erlangen ist vergleichbar. Der Künstler betrachtet die Graffiti-Scene in Amsterdam, in welcher er in den achtziger und neunziger Jahren aufwuchs, als seinen ‘kreativen Geburtsort’. Als er 2019 Gastkurator einer Ausstellung bei CBK Zuidoost Amsterdam war, sagte er: “ Die starke Verbundenheit der HipHop-Kultur mit den Afro/Latino/Caribischen Grundlegern hat mir als Teil davon immer ein Element der Ermächtigung gegeben. Auch die DIY (Do It Yourself) Kultur, die da drin sitzt und die ‘fuck the system Mentalität’ ist etwas das mich als Künstler geformt hat”.

 ‘Wie Ausbeutung die Welt formt’ – das ist die freie Übersetzung seines entlang des Kanals geschriebenen Textes. Ausbeutung ist für Raul Balai ein zentraler Begriff – in seiner Kunst, in seinem Leben. Das zeigte er z. B. mit seinem Werk ‘shouldloveyoumorethanpizza’, vor zwei Jahren in dem Kunstraum Nest in Den Haag. Dort baute er mit Kartonkisten eine Kapelle mit einem Altar und einer Opfertafel, wo man eine Kerze anzünden konnte. Auf die Rückwand, wo sonst immer in der Kirche die Heiligen abgebildet sind, hatte er drei junge Paketauslieferer gemalt.

Der Künstler fühlt sich in Middelburg sehr wohl: “Je mehr ich mich in diesen Ort vertiefte – Middelburg, Walcheren – desto interessanter fand ich es. Von meinem historischen Interesse aus gesehen, finde ich es komisch, dass Zeeland nicht eine viel zentralere Rolle in der Niederländischen Geschichte einnimmt. Es gibt hier so viel, Piraten,  den VOC, die WIC, den zweiten Weltkrieg. Durch den ‘Großstadt-Blick’ wird die Provinz genau wie Groningen – sorry Groninger – ein wenig weggeschoben. Ich interessiere mich für Geschichte. Dieses Interesse resultiert aus meinen Surinamischen Wurzeln. Mit Großeltern in China, Indien, Afrika fühle ich mich gezwungen, meine Wurzeln zu erforschen. Meine Mutter ist Niederländerin, die abstammt von Bauern aus dem Haarlemmermeerpolder. Von ihr kenne ich das Landleben, wie es das in Zeeland gibt. Mein Surinamischer Vater ist Historiker, er schreibt über Sklaverei”.

Der Künstler hat seine Buchstaben vor zwei Ämtern platziert, die er für Middelburg ‘unverhältnismäßig’ findet: “Hier ist vor allem Prestige wichtig. Meiner Meinung nach sind es entstellte Gebäude. Zugegeben ist der Ort dadurch interessant. Man sieht das System der Ausbreitung sich wider gespiegelt. Der Kanal als Verbindung zu der anderen Seite der Welt verweist auf den Kolonialismus. Meine Arbeit knüpft oft an dieses Thema an. Aber ich will Ausbreitung nicht alleine daran koppeln. Wenn man sich alleine diesen Ort anschaut. Ein Stückchen weiter gab es die Lampenfabrik Vitrite von Philips. Diese wurde umgesiedelt in ein Billiglohnland mit allen Konsequenzen für den Arbeitsmarkt in Middelburg. Die zwei Archetypen der Niederländischen Gesellschaft sind der Kaufmann und der Pastor: Der Kaufmann gewinnt leider immer. Macht und Prestige sind wichtiger als der Bürger. Wir müssen ein System schaffen, in dem Geld nicht über dem Menschen steht”.

Raul Balai (Amsterdam, 1980) arbeitet als Designer, Ausstellungsmacher, Kurator und Künstler. In den achtziger und neunziger Jahren wurde er von der HipHop und House-Scene beeinflusst. In Utrecht ging er zur HKU, die Hochschule für Kunst. Er machte Werk über kulturellen Austausch, Mischformen und Kollisionen. Das realisiert er auf verschiedene Weise: Malen, Graffiti, Grafikdesign, Illustration und Fotografie. In den vergangenen Jahren waren seine Werke auf der Vountour Biennale in Mechelen (Belgien) ausgestellt, der Biennale Dak’Art in Senegal, M HKA in Antwerpen, Galleri Image in Aarhus (Dänemark), NEST Den Haag, WM Gallery Amsterdam, De Black Archives Amsterdam, Het Rembrand Museum Amsterdam.

 

 

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